Beifuß und die Sonnenwende, ein Rezept

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Eigentlich wollte ich heute nur kurz ein Rezept für ein veganes Sonnenwend-Getränk mit dir teilen, aber dann kam ich so ins Schreiben und ach!
Zur Sonnenwende spielen einige Pflanzen eine größere Rolle. Doch ein Kraut sticht für mich besonders heraus. Artemisia vulgaris, der gemeine Beifuß, wurde bereits von den Kelten und den Germanen als Arznei, sowie für Weissagungen und allerlei Riten genutzt. Es wird vermutet, dass er sogar schon vor 17 000 Jahren von Menschen verwendet wurde. Wie er in den Trank passt und was seine Geschichte ist, möchte ich dir nachfolgend erzählen. Aber du kannst natürlich auch einfach zum Rezept scrollen und das sommerliche Getränk ausprobieren, wenn dir der Hintergrund nicht so wichtig ist.

Rezept: Sonnenwend-Trank

  • 1 1/2 Teelöffel getrockneten Beifuß
  • 2 Esslöffel Agavendicksaft
  • 1 Liter kochendes Wasser
  • 300 Gramm gefrorene Beeren

Den Beifuß in einer Kanne mit dem kochenden Wasser übergießen, den Deckel drauf machen und dabei zwei Minuten ziehen lassen. Dann den Beifuß abseihen. Im Idealfall hast du einfach ein Tee-Ei benutzt. Der Aufguß wird nicht leckerer je länger du ihn ziehen lässt, daher wirklich etwas auf die Zeit achten. In den noch heißen Beifußsud kannst du nun die gefroren Beeren geben, die darin ganz schnell auftauen werden. Welche Beeren oder ob du sogar einen Mix an Beeren verwendest, ist dabei ganz dir überlassen. Am Ende kommen noch die zwei Esslöffel Agavendicksaft dazu und wenn du möchtest, kannst du alles ein bisschen pürieren. Eiskalt aus dem Kühlschrank schmeckt er besonders lecker!

Der Sonnenwend-Trank wirkt verdauungsfördernd und appetitanregend. Perfekt vor einem deftigen Essen zum Feiertag der Sonnenwende und gleichzeitig schön erfrischend und kühlend während dieser heißen Jahreszeit. Die Beeren sorgen für reichlich Vitamine und Antioxidantien.

Achtung!
Nicht trinken, wenn du eine Allergie gegen Pflanzen der Familie der Korbblütler hast oder schwanger bist. Beifuß kann eine abortive Wirkung haben. Seine wehenfördernden Eigenschaften sollten nur in Absprache mit Ärzt*innen oder Hebammen genutzt werden.

Ich bin nicht Schöpferin dieses Rezepts. Den Ursprung konnte ich jedoch nicht ausfindig machen. Auf einigen Webseiten und auch in Büchern wie “Hexenwerk – Wildkräuter Sammelsurium rund um’s Jahr” von Ulla Janascheck und Elise Richer wird er als “Artemisia-Trank” erwähnt, dann jedoch nur mit Heidelbeeren und mit Honig statt Agavendicksaft. Er wird beschrieben als russischer Krafttrank, zur Stärkung für Schwangere und für alle die eine Schwelle überschreiten wollen und dabei Unterstützung brauchen. Ich würde gerne wissen, ob der Trank in der Form tatsächlich einen russischen Ursprung hat. Falls du vielleicht etwas dazu weißt, würde ich mich freuen von dir zu hören.

Alte Bräuche und aktuelle Anwendungen anhand seiner vielen Namen

Die volkstümlichen Namen einer Pflanze beschreiben ihren damaligen und zum Teil auch heutigen Einsatz oft sehr gut. Anhand dieser möchte ich ein bisschen über den Beifuß erzählen. Aber vorab gibt es da ja noch den offiziellen Namen und seine wissenschaftliche Bezeichnung nach Linné, also sein lateinischer Name.
Sein Name Artemisia vulgaris weist auf die die altgriechische Göttin Artemis hin, die einerseits die Göttin der Jagd, aber auch die “Schützerin des weiblichen Schoßes” ist. Auf die Anwendung als typisches Frauenkraut komme ich aber gleich noch zurück. Der Zusatz “vulgaris” bedeutet “gewöhnlich”.
Der Name Beifuß entstand, nach Jacob Grimm, aus dem althochdeutschen Verb bōʒen für stoßen, schlagen. Anscheinend weil das Kraut als Gewürz geschlagen oder gestoßen in die Speisen kam. Oder weil dem Beifuß eine abstoßende Wirkung gegen dunkle Mächte nachgesagt wurde.
Beifuß beschreibt zugleich einen alten Verwendungszweck der römischen Soldaten, die ihn bei langen Märschen in ihre Sandalen gelegt haben sollen, um Blasen und offene Wunden zu verhindern. (Plinius, Naturalis historica, 77 n. Chr.)

“So sich jemand übergangen hatte, der lass ein Fußwasser mit Beifuß machen.”
(Hildegard von Bingen, 1098-1179, Physica)

Wilder Wermut

Ein Volksname des Beifuß ist Wilder Wermut. Er ist nämlich mit dem Wermut (Artemisia absinthium) verwandt, den du vielleicht vom grünen Absinth kennst. Beide sind in ihrer Wirkung ähnlich, unterscheiden sich aber beispielsweise im Gehalt an Thujon, der beim Wermut viel höher ist. Dieses ätherische Öl ist in großen Mengen nicht unbedenklich.

Weiberkraut

Seine traditionelle Anwendung bei Menstruationsbeschwerden, als wehenförderndes Mittel bei der Geburt, aber im Mittelalter auch zur Abtreibung, bescherten dem Beifuß Namen wie Schoßkraut, Weiberkraut, Jungfernkraut, Geburtskraut oder Weibergürtelkraut. Zwar gibt es (noch) keine “Positiv-Monographie” für den Beifuß, wie für zahlreiche traditionelle Heilpflanzen ebenso wenig, aber genutzt wird er auch heute noch wegen seiner wärmenden und entkrampfenden Wirkung auf die Gebärmutter und den Unterleib allgemein, zur Regulierung der Menstruation und zur Steigerung der Fruchtbarkeit.
Als typisches “Frauenkraut” ist er der Artemis und der Diana gewidmet. In Nordhessen, wo ich lebe, ist er eines der Kräuter der Frau Holle.

“Beyfuss in Wein gesotten/ und davon morgens und abends ein Mackel Becherlein voll warm getruncken/ eröffnet die verschlossene Mutter/ führt auss die verstandene Blumen/ erwärmet die Geburtsglieder/ treibet auss die Afftergeburt oder das Bälglein/ sampt allem verhaltenem unrath der Mutter/ treibet auch fort die tode Geburt. Zu diesem Tranck mögen die reichen Weiber Muschatblüht thun/ wenig oder viel/ nach einer jeden gefallen und gelegenheit. Die abgestreifften Blümlein vom Beyfuss durch ein Sieblein geschlagen/ unnd von diesem Pulver ein halb Loth biss in III.quintlein mit Wein warm getruncken/ thut dergleichen.”
(Tabernaemontanus, Nuew vollkommentlich Kreuterbuch, 1588)

Wurmtod

Als Wildes Wurmkraut und Wurmtod wurde er bezeichnet, da man ihm den Nutzen als Wurmmittel nachsagte. Tatsächlich soll er, wie Lavendel, ungebetene Insektengäste(tm) aus dem Kleiderschrank und der Speisekammer fernhalten.

Gewürzbeifuß

Gewürzbeifuß, Gänsekraut und Wotansgerte beschreiben seine Anwendung in der Küche. Noch heute wird er, oft zu Weihnachten oder an Sankt Martin, als Gewürz für deftige und fette Gerichte genutzt. Sein herber, sehr würziger und leicht bitterer Geschmack hilft bei der Verdauung der fettreichen Speisen, indem er die Sekretion von Magensäure und Galle anregt. Wir alle kennen bestimmt den Effekt, wenn wir etwas Bitteres essen und der Speichelfluss im Mund dadurch ansteigt. Dafür ist im Beifuß der enthaltende Bitterstoff Sesquiterpenlacton verantwortlich.
Die heutigen Hauptanwendungsgebiete des Beifuß als Heilpflanze sind deshalb die Verdauungsförderung, Magen-Darm-Beschwerden und Appetitlosigkeit.

“Der Beifuß, das heißt der biwoz, ist sehr warm und sein Saft ist nützlich. Wenn er gekocht wird und in Brei oder einer anderen Speise gegessen wird, heilt er kranke Eingeweide und macht einen kalten Magen warm. (…) Es beseitigt und verjagt die Fäulnis, die er sich in den früheren Speisen und Getränken zugezogen hat.”
(Hildegard von Bingen, 1098 - 1179)

Du fragst dich jetzt vielleicht: Aber Erbse, was hat der Name Wotansgerte denn mit Essen zutun? Die Gerte, die Wodan (oder Wotan, Odin) bei sich trägt, während er Sleipnir bei der wilden Jagd reitet, soll (unter Anderem) aus Beifuß gemacht sein. In einem meiner anderen Rezept-Artikel habe ich schon mal über den Zusammenhang zwischen dem christlichen St. Martin und seinem heidnischen Ursprung geschrieben. An St. Martin ist es ein alter Brauch die Opfergans mit einem Büschel Beifuß zu würzen und zu weihen.

Hexenkraut

Sein Zweck als Ritual-, Zauber- und Räucherpflanze, besonders im Bezug auf die Sonnenwende, wird durch die Namen Sonnwendgürtel, Johannesgürtel, Sonnenwedel, Sunbentgürtel, Mugwurz, Räucherwurz, Hexenkraut, Besenkraut und Himmelkehr deutlich.
Tatsächlich handelt es sich beim Beifuß um eine der ältesten Ritualpflanzen der Menschheit. Er gilt als das “Schamanenkraut” unserer Heimat und bildet die Basis unserer Räucherkultur.

Erinnere dich, Beifuss, was du verkündet hast,
was du bekräftigt hast bei der grossen Verkündung.
Erste heisst du, ältestes Kraut.
Du hast Macht für 3 und gegen 30,
du hast Macht gegen Gift und gegen Ansteckung,
du hast Macht gegen das Übel, das über Land fährt.
(Auszug Neunkräutersegen, 9./11.Jh., aus dem altenglischen ins deutsche übersetzt von GardenStone)

Vielleicht kennst du noch den alten Brauch in den Raunächten die Wohnräume und Ställe auszuräuchern. Neben Wacholder, Salbei und Fichten-Harz ist Beifuß ein gängiger Bestandteil der typischen Räuchermischung zur Wintersonnenwende. Das rituelle Räuchern mit Beifuß kannten schon die Kelten und Germanen, die glaubten sich damit vor dem Bösen schützen zu können.

Früher erschlossen sich die Menschen das Wissen über die Pflanzen unter Anderem über die sogenannte Signaturenlehre. Man glaubte also, dass ihre Zeichen, Formen und Farben auf ihren Nutzen hindeuten würden. Das ist aus heutiger Sicht natürlich nicht wissenschaftlich, aber es erklärt beispielsweise weshalb der Beifuß so oft mit dem Übertritt in andere Wirklichkeiten, neue Zeiten und Lebensabschnitte zutun hatte. Denn wenn du dir seine Blätter schon mal genauer angesehen haben solltest, könnte dir aufgefallen sein, dass sie auf der Oberseite dunkelgrün und auf der Blattunterseite weiß und filzig-behaart sind. Diese Gegensätzlichkeit sollte auf die Rolle als Vermittler zwischen den Welten und Ebenen hinweisen.

“Sonst haben die Alten dem Beyfuss mehr zugeben/ dass er Krafft haben soll/ alle Gespenst unnd Zauberey zu vertreiben/ und dass denjenigen so Beyfuss bey sich tragen/ kein Zauberey oder auch der Teuffel selbst einigen Schaden zufügen möge. Item dass er den Donner abwenden soll/ unnd der gleichen viel andere Heydnische Aberglauben. Christen aber wissen das wol dass ein ander Artzeney seyn muss/ die den Teuffel und sein Gespenst vertreiben soll/ dann er nach einem solchen strohenen Harnisch nicht viel fraget.”
(Tabernaemontanus, Nuew vollkommentlich Kreuterbuch, 1588)

In Phasen der Veränderung, zum Beispiel bei den Sonnenwenden, soll der Beifuß das Loslassen und den Neubeginn unterstützen, aber auch stärken. Zum Beispiel in Form des Sonnwendgürtels, der beim Tanz um das Johannisfeuer kräftigend wirken soll. Später wird der Kranz in die Glut geworfen, in dem Glauben, dass die Kraft der Flammen alle Krankheit, Elend und Unheil des kommenden Jahres verschlingen würde. Der germanische Gott Thor besaß übrigens auch einen Gürtel aus Beifuß, genannt Megingjardr.
Ein altes Übergangsritual der Germanen beinhaltete die Beigabe von Beifuß beim Verbrennen ihrer Toten. Er sollte den Seelen beim Übertritt ins Jenseits und bei der Trauer der Hinterbliebenen helfen.

“Die magi graben disse wurzel uff S. Johannes abent; so die sonn unergadt, so finden sye darbey schwarz körnlin an der wurzel hangen. Und das dem also, hab ich selb gesehen, ist ein sonderlich geheymnuß, was damit gehandlet würt.”
(Otto Brunfels, Contrafeyt Kreuterbuch, 1532-1537)

Tl;dr Beifuß

Typische Korrespondenzen aus dem allgemeinen Hexentum und Volksglauben sind: Heilung, Schutz, Übergang, Kraft, Fruchtbarkeit, Geburt, Loslassen, Neubeginn, Abschied, Weissagung
Beifuß diente als traditionelle Räucher- und Ritualpflanze. Zum Beispiel zu den beiden Sonnenwenden.
Aus heilpflanzenkundlicher und erfahrungswissenschaftlicher Sicht ist der Beifuß eine typische, jedoch in ihrer Wirkung eher milde Bitterdroge und hilft nicht nur bei der Verdauung und bei Appetitlosigkeit, sondern auch bei Menstruationsbeschwerden, Krämpfen und der Geburt.
Außerdem ist der Beifuß ein gängiges Gewürzkraut für deftige und fettige Speisen.

In diesem Sinne. Ich wünsche dir eine fröhliche Sommersonnenwende!

Quellen und Seiten zum Weiterlesen:

  • Christina Mann: Der Gewöhnliche Beifuss (Artemisia vulgaris) – eine Pflanze im Wandel der Zeit, Schweiz Z Ganzheitsmed 2016 https://www.karger.com/Article/FullText/443298 (besucht am 16.06.2021)
  • Prof. Dr. Jürgen Reichling: Arends Volkstümliche Namen der Drogen, Heilkräuter, Arzneimittel und Chemikalien, 19. Auflage 2012, Springer-Verlag (ISBN: 978-3-642-24995-2)
  • Adolfine Nitschke: Heilsames Räuchern mit Wildpflanen, 3. Auflage 2019, Gräfe und Unzer Verlag (ISBN: 978-3-442-22321-3)

Haftungsausschluss
Alle Empfehlungen und Angaben sind mit Sorgfalt zusammengestellt und geprüft. Trotzdem kann keine Gewähr für die Fehlerfreiheit und Genauigkeit der Informationen übernommen werden. Jegliche Haftung für Schäden, die direkt oder indirekt daraus entstehen, wird ausgeschlossen. Bitte setze dich mit der Ernte und Anwendung der hier genannten Pflanze genau auseinander und nutze dein persönliches Urteilsvermögen.