Rentner-WG

Selam Welt,

gestern ist etwas passiert, was mich so berührte und deshalb nicht mehr aus dem Kopf bekomme. Im Moment leben bei mir sechs eigene Farbratten, neben den Vermittlungsratten. Bis gestern waren wir noch mitten in der Integrationsphase, da die sechs in zwei Rudeln lebten. Und nun hocken sie spartanisch alle gemeinsam in einem Integrationskäfig, wo sie sich nicht aus dem Weg gehen können und gewöhnen sich an das gemeinsame Leben. Sie klären die Rangordnung, bilden neue Strukturen. Es ist anstrengend den Käfig über Tage zu überwachen, aber es erfüllt mich. – Bis vor Kurzem hatte ich noch überlegt die Rudel nicht zusammenzulegen. Aber da vier der Sechs bereits sehr alt sind und sie mehr oder weniger schnell Alterserscheinungen und Krankheit zeigen, entschloss ich mich doch noch dazu, bevor es buchstäblich zu spät ist und einer alleine dahocken muss.

Ich empfinde unheimliche Freude, wenn ich die Tiere dabei beobachte wie sie sich immer besser kennenlernen, die Grenzen untereinander austesten. Sie unterscheiden sich in ihrem Sozialverhalten gar nicht so sehr vom Menschen.

Der Kastratenmann Rocco ist nun schon bald um die drei Jahre alt. Zugegebenermaßen geschätzterweise, da er damals vor einer Kaninchenhilfe im Karton abgegeben wurde. Er hat einen kleinen Tumor am Hals, eine mittlerweile relativ stark ausgeprägte Hinterhandlähmung und Probleme Kot abzulassen. Er ist also ein kleiner Pflegefall, aber er hat immer noch einen imensen Lebenswillen. Er frisst, er trinkt. Aber selbst putzen kann er sich nicht mehr. Sein Po und sein Penis sind täglich aufs Neue verklebt, weshalb er sich die letzten Tagen an kleine Sitzbäder gewöhnen musste. Der Tumor drückt (noch) nicht auf die Luftröhre. Ich warte also mehr oder weniger auf einen Grund sein Lebensabend, so leid es mir tut, zu beenden. […] Seine Gefährtin Gänseblümchen ist im November 2008 geboren, fitt, (eigentlich) ängstlich, hat einen erbsengroßen Tumor am Vorderärmchen.

Das ehemalige andere Rudel besteht aus Ada Lovelace, Olympe de Gouges (bekommt bald eine Tumor-OP, beide relativ jung, Geschwister), Marie Curie (eine uralte Dame mit Hinterhandlähmung und klitzekleinen Gesäugetumor) und letztlich Rosa Luxemburg, ebenfalls mit Tumoren, leider sehr viele an unterschiedlichen Stellen. Sie haben gestreut und eine Operation ist nicht möglich. Dennoch ist Rosa Rudelchefin und stört sich augenscheinlich nicht an den Bällchen an ihrem Körper. Noch nicht. – Das ist sie also, meine Rentner-WG, die derzeit so viel Aufmerksamkeit von mir verlangt.

Zu Anfang schrieb ich von einem berührenden Erlebnis. Als die Rudel das erste mal für mehrere Stunden aufeinandertrafen, krabbelte Rocco direkt in eine Ecke um es einfach über sich ergehen zu lassen. Man merkte, er hat einfach kein Interesse mehr an irgendeinem höheren Rang im Rudel. Normalerweise hätte ich in seinem gebrechlichen Zustand keine Integration mehr gewagt, wäre ich mir nicht sicher gewesen, dass alle dieser Ratten sehr gelassene und eher devotere Tiere sind. Das fremde Rudel merkte schnell, dass von ihm keine Gefahr ausgeht. Und deshalb schonten sie ihn. Rosa und Marie legten sich sogar zu ihm, um ’ne Runde mit ihm zu pennen. Am frühen Nachmittag hat man schließlich auch kaum Lust auf dumme Streitereien. – Im Großen und Ganzen gab es in der ganzen Zeit bis jetzt gerade, wo der Käfig immer noch direkt neben mir steht, Handschuhe bereit liegend, keinen einzigen nennenswerten Vorfall, bis auf folgenden:

Gänseblümchen schleppte aus dem Futternapf einige der leckersten Stückchen in die Ecke wo Rocco sich gerade ruhte. Sie verspeiste den größten Teil der Mitbringsel, ließ Rocco aber ein süßes Stück Banane übrig. Sie ließ Rocco zum Futtern für einen Moment alleine, bis Ada kam und ihm das Stück wegnehmen wollte. Das ist ein völlig normales Verhalten, gerade während der noch unklaren Rudelstruktur. Eigentlich hätte Rocco jetzt sein Stück Banane verloren, wenn Gänseblümchen nicht angerast gekommen wäre um sich auf Roccos Rücken zu schmeißen, zwischen Ada und Rocco samt Banane. Sie hat Ada mit ihrem Pfötchen weggedrückt und sich so lange beschützend vor Rocco gestellt bis dieser fertig gefuttert hatte. Ada blieb gelassen, ich sagte ja… eher devote Ratten. – Das Ganze berührte mich so sehr. Vielleicht nicht ganz nachvollziehbar für Jemanden der mit Ratten nichts am Hut hat. Aber diese Handlung war einfach extrem sozial. Sie hat den Schwächeren beschützt. Die meisten Ratten die ich erlebte, nahmen dem Schwächeren (egal wer es war) selbst das Futter weg, anstatt soetwas zu bewegen. Futter Futter Futter! Ich bin ganz erstaunt und es erinnert mich an eine andere Situation, die ich vor einigen Jahren erlebte. Auch bei einer Integration. Rudelchefin Betty schmieß sich während einer kleinen Boxerei zwischen die Rivalen und beschützte ihr Rudel. Sie war schon immer Big Mama bis zu ihrem Tode. <3 Ganz ehrlich, Ratten sind für mich die faszinierensten, sozialsten und schönsten Tiere der Welt.

Kommentare 9

  1. Sehr süß deine Ratten und wirklich tolle Geschichte. Ich halte auch Ratten aus dem Tierschutz und erlebe auch hin und wieder solche altruistischen Aktionen.

    Alles Gute dir und deinen Ratten 🙂

  2. Wie lieb!
    Ich habe keine Erfahrung mit Ratten, aber sie sind mir sofort sympathisch. 🙂

  3. zombiekatze 14. Januar 2011

    oh, ist das so süß <3 wirklich extrem bemerkenswert, so ein soziales verhalten 🙂
    ich freue mich schon darauf, die neuen ratten irgendwann kennenzulernen! <3

  4. MhhhKathi 14. Januar 2011

    Gänseblümchen ist mir sympathisch ^^
    Ich finde es generell extrem spannend das Sozialleben von Tieren zu beobachten, egal ob innerhalb eines Rudels oder sogar zwischen verschiedenen Tierarten.

  5. SleepyBat 19. Januar 2011

    Hallo Erbse,
    ich hab letzte Nacht tatsächlich von deinem Rattenzimmer geträumt 😀 (wahrscheinlich, weil ich dein letztes Video kurz vor dem Einschlafen geguckt habe und du davon gesprochen hast)! Kennst du diese Dosen von Aldi in denen so instant-Zitronentee-Krümel drin ist? Da waren irgendwie die Ratten drin…von außen sahen die Dosen total klein aus, aber als man reingeschaut hat war das ein großer Käfig, wo viele Ratten Platz hatten….Ich weiß auch nicht, was das zu bedeuten hat : D

    • Hey. 😀
      Das klingt nach einem sehr seltsamen Traum. Total verrückte Geschichte!
      Danke fürs teilen. Ich finds immer interessant was andere Leute für seltsame Dinge träumen. 🙂

      LG

  6. Wenn ich von deinen Ratten lese, krieg ich hier ganz feuchte Augen =( Wegen eines bald anstehenden Auslandaufenthaltes kann ich kein Rudel mehr halten, aber ich werde definitiv wieder Ratten haben. Ich hab mich unsterblich verliebt in diese Tiere, sind so klein und steckt doch SO viel Persönlichkeit drin.

Kommentare sind geschlossen.