Warum Tierleid auch Menschenleid ist.

…oder weshalb Menschenleid auch Tierleid ist.

In den letzten Tagen bin ich ja wirklich extrem eingespannt und mit den vielen Vermittlungsratten beschäftigt. Eigentlich verbringe ich den halben Tag damit Volieren zu schrubben, den Tieren Auslauf zu gewähren und ein paar langsam und vorsichtig an den Menschen zu gewöhnen. […] So ganz nebenbei versuche ich dann natürlich noch zu lernen. Oft während mind. vier Farbratten auf mir herumturnen. Solche Situationen sind Ausnahmen, aber sie kommen durch verschiedene Umstände leider immer mal wieder vor.

Ich wurde ziemlich nachdenklich. Die Rattenhilfe machen wir jetzt schon eine ganze Weile. Notfellchen lagen uns schon immer am Herzen. Aber wenn man mal genau hinsieht, geht es gar nicht nur um Tiere kuscheln und Käfige schrubben. […] Kürzlich erfuhr ich von einer Notfallvermittlerin, die ihre ehrenamtliche Arbeit nach vielen Jahren Engagement aufgab. Oder aufgeben musste. Sie verfasste einen Text, in dem ich mich wiederfinde, deren Gedanken und Gefühle ich teile. Ich bin immer noch sehr berührt davon und möchte ihn gerne mit euch teilen. Die Person bleibt dabei anonym.

http://www.rattiges-nordhessen.de

Huhu,

wie ihr an meiner Signatur sehen könnt, gebe ich auf – im Grunde zum dritten Mal, aber diesmal ohne die Perspektive, dass mich irgendwer „notfalls noch mal breitschlagen“ kann, auch nicht mit Tricks, denn irgendwo ist auch das Ende vom Ende.

Ein paar Erkenntnisse möchte ich aber noch hinterlassen – Erfahrungen, die ich gemacht habe, die aber auch auf andere Tierschützer passen.

Ich wollte in den Tierschutz, um möglichst wenig mit Menschen zu tun zu haben, aber im Endeffekt geht es nur um Menschen:

  • Die Menschen, die alles dafür tun möchten, dass ihr eigenes Tier nur in die besten Hände kommt, aber ohne, dass sie selbst damit Arbeit haben, und die einem dafür zur Not auch Lügengeschichten erzählen oder mit erpresserischen Methoden Tiere reindrücken, wo schon längst kein Platz mehr ist.
  • Die Menschen, die mir ganz unschuldig sagen oder per KN schreiben „warum nimmst du denn das Tier nicht? Wenn ich das Geld und die Zeit dafür hätte, würde ich es auch tun“ – ja, aber ich habe das Geld und die Zeit genauso wenig wie irgendjemand anders. Die allermeisten Tierschützer sind keine Menschen, die Geld und Zeit übrig haben, sondern sie haben noch weniger von beidem als andere Menschen, mit dem Unterschied, dass sie Probleme wahrnehmen und lösen möchten, statt sich auf der Illusion auszuruhen, dass irgendwo, irgendwer schon zuständig sein wird.

Ein Bekannter, der gar keine Tiere hat und auch nicht haben will, hat mir dieser Tage noch gesagt „das wusste ich nicht – bei ‚Tiere suchen ein Zuhause‘ erzählen sie immer, wo sie jedes Tier herhaben und so, aber dass sie zu viele Tiere haben oder an ihre Grenzen stoßen, das sagen sie nie“. Es ist der Öffentlichkeit gar nicht klar, dass städtische Tierheime im Wesentlichen nur Fundbüros für diejenigen Fundsachen sind, die gefüttert werden müssen, und private Tierschutzvereine ebenfalls mit Fundtieren und Wohnungsräumungen schon mehr als ausgelastet sind.

Einen Großteil der Zeit verbringt man schon damit, die Leute abzuwimmeln, die einfach keine Lust mehr auf ihre Tiere haben und nicht lockerlassen, zu argumentieren, dass der Tierschutzverein sie deshalb doch nehmen muss. Muss er nicht. Aber es gibt dafür kein öffentliches Bewusstsein.

  • Die Menschen, die nach verhaltensökonomischen Kriterien vorgehen und stets darauf achten, dass sie ein Maximum fordern, aber damit selber ein Minimum an Arbeit haben. Für jedes Tier, das des Tierschutzes bedarf, kann ich euch 20 Personen nennen, die sagen „das arme Tier, da muss dringend etwas passieren“, aber 0 bis 1 Personen, die bereit sind, es aufzunehmen.
  • Die Menschen, die sich zu Weihnachten ein leckeres Kaninchen (aus der Tiefkühltruhe im Supermarkt) schmoren und absolut nichts dabei finden, ihr lebendiges, knuddeliges, niedliches Zwergkaninchen einem Tierschutzverein übergeben zu wollen – und wenn der Tierschutz sagt „wir haben schon ein paar HUNDERT Kaninchen, wir können Ihres nicht aufnehmen, nur weil es sich mit seinem Kumpel nicht versteht“, überhören sie das ganz und gar und antworten unbeirrt „wann können Sie es abholen?“ (da wir natürlich nicht nur einen unendlich großen Kaninchenstall haben, sondern auch unendlich viele Einsatzfahrer).
  • Die Trittbrettfahrer, die Mist bauen und sich dann Geschichten ausdenken, warum es doch ein richtiger böser Notfall ist und sie Hilfe brauchen. Jede Hilfsorganisation dieser Welt wird ursprünglich für Menschen in Notlagen gegründet und verbringt fortan einen Großteil ihrer Zeit damit, die Ausbeuter auszufiltern, die nur sehen „da ist was zu holen“, die jedes soziale Netz als normale Ressource einkalkulieren statt als Reserve für den allerletzten Notfall, und die der Meinung sind „wer was zu vergeben hat, hat auch genug für mich“, „wer was zu vergeben hat, lebt offenbar im Luxus“ oder „wer was zu vergeben hat, ist schön blöd und hat es nicht besser verdient“.
  • Die Menschen, die einfach mal ein paar neue (Lebens-)Pläne machen und dann feststellen, dass ihre vorhandenen Tiere leider nicht mehr reinpassen und daher weg müssen, das dann aber natürlich sofort und möglichst ohne Aufwand, da sie ja jetzt mit anderen Dingen beschäftigt sind.
  • Die Menschen, die selbstverständlich davon ausgehen, dass Tierschützer von Steuergeldern leben – die einzigen, auf die das (sehr begrenzt) zutrifft, sind städtische Tierheime, und die sind wie gesagt Fundbüros für lebende Fundsachen, kein Service für Bürger, die etwas verplant oder verpeilt haben.
  • Die Menschen, die mir sagen „du musst dich besser abgrenzen lernen, du musst weniger Arbeit annehmen“ – und zwar sagen sie das in dem Moment, wo sie mir selbst Arbeit aufdrücken wollen. Klar, denn wenn ich mich gegen alle anderen besser abgrenzen könnte, könnte ich ihr eigenes Problem ja locker noch lösen.

Das einzige, was man im Tierschutz wirklich lernt, ist, die menschliche Natur zu verstehen. Die offenbar bei der überwiegenden Mehrheit der Menschen besteht aus „man müsste mal“ und „das ist doch himmelschreiend“, und bei einer verschwindend geringen Minderheit aus „wie kann ich helfen?“.

Ich habe auch diese Minderheit kennen gelernt, auch und vor allem hier im Forum; und meist sind es die Menschen, die selber wenig haben und fast nicht mehr können, die noch sehen, wo Hilfe benötigt wird.

Nur wird es für die hilfsbereite und kooperative Minderheit immer enger, während die Zahl derer, die sagen „man müsste mal“ und „dafür muss doch irgendeine abstrakte, elternähnliche Zivilgesellschaft zuständig sein“ ständig zunimmt.

Sollte ich jemals wieder Zeit oder Geld übrig haben, werde ich daran arbeiten, ein öffentliches Bewusstsein für Eigenverantwortung und (menschliche) Verhaltenspsychologie zu schaffen, statt die Kacke von Tieren wegzuschüppen, von denen die überwiegende Mehrheit doch nur aus Bequemlichkeit und Gedankenlosigkeit auf der Straße gelandet ist.

Die Grenze verläuft nicht zwischen Arm und Reich, Arbeit und Kapital oder gar Frau und Mann, sondern zwischen Anspruchsdenken und Gemeinsinn.

Bis dann …

http://www.rattiges-nordhessen.de

Kommentare 7

  1. Kurzum: der Mensch ist im Grunde ein purer Egoist, ich-bezogen.
    Schade drum, wenn Haustiere darunter leiden müssen.

  2. Fleddermaus 1. Juli 2011

    Wir menschen halten uns immer für so außergeöhnlich und so erhaben aber bei sowas wird einem dann wieder klar, dass wir doch nur immer auf den eigenen Vorteil bedachte Lebewesen sind, die leider ein so großes Gehirn haben, dass wir anderen mit unserem Egismus um so mehr schaden können.

  3. witznudel 1. Juli 2011

    Hallo,
    ich kann den Text sehr gut verstehen, zumindest kann ich es erahnen, wie sich diese Frau fühlt…….. und es macht mich sehr traurig, wie wir mit den Tieren und Mitmenschen umgehen….ich tue soviel ich kann und muss mich auch immer wieder abgrenzen lernen, um nicht an der Wirklichkeit zu verzweifeln…..ich versuche mich auf die kleinen Erfolge im Leben zu konzentrieren….Alles Liebe euch allen <3
    Liebe Grüße
    witznudel

  4. Ja, in dem Text steckt sehr viel Wahrheit drin.
    Ich engagiere mich nun seit, puh, 9 Jahren (unglaublich, das stelle ich JETZT erst fest!) im Tierschutz in verschiedenen Bereichen. Ich war schon Pflegestelle für Meerschweinchen, Ratten, Hunde und Hamster. Habe Kaninchen aus Notfällen aufgenommen und bisher wirklich nur sehr selten mal Geld für eins meiner Tiere bezahlt (Schutzgebühren ausgenommen). Denn sie fliegen einem dann nur so zu, wenn man „bekannt“ ist. „Ach könntest Du mal…“ „Mensch, Du kümmerst Dich doch…“
    Und es ist nur ZU wahr, dass man im Tierschutz seine Grenzen wirklich kennenlernen kann. Wenn man dann z.B. irgendwann feststellt, dass man ausgebrannt ist, nicht mehr kann und nicht mehr will. Wenn der 20. Interessent sich plötzlich nicht mehr meldet oder das Tierchen wieder und wieder aus der Vermittlung zurückkommt.
    Meine Freundin, selbst jahrelang tätig im Auslandstierschutz (auch vor Ort) sagt immer: „Du guckst den Leuten eben nur vor den Kopf!“
    Und GENAU SO ist es.
    Ich bin trotzdem unheimlich froh, dass es so viele Menschen gibt, immer noch und trotz aller widrigen Umstände, die tun, was wir tun, liebe Erbse ♥ .

  5. Hallo Erbse und alle anderen :),

    ich bin zwar keine aktive Tierschützerin wie du/ihr das seid, ich habe „nur eine“ Katze vor dem Tierheim gerettet und ihn dauerhaft aufgenommen, kenne es aber aus meiner Familie, für alles und jeden eine offene Tür zu haben und niemals „Nein“ sagen zu können. Ich möchte mich nicht in meinem Bekanntenkreis bzw. meiner Umgebung als Tiernotfallfrau etablieren, weil ich genau weiß wie das ausarten wird. Hab von meiner Rennmauszüchterin auch ein älteres Tier dazugenommen, weil „sie ihn nicht losgeworden“ ist und ich nicht Nein sagen konnte. Ich kann mir also in etwa vorstellen, wie es euch geht, wenn auch bei Weitem nicht in dem Ausmaß wie ihr das erlebt.
    Hier muss jeder Mensch, denke ich, auch teilweise an sich denken. Genau aus dem selben Grund, warum man keine Nager aus Zoohandlungen kauft. Ich hoffe ihr versteht was ich meine. ^^

    Der Text, den du veröffentlich hast, hat mich sehr berührt, er drück sehr genau aus, wie die meisten Menschen sind. Ich bin kein großer Menschenfreund, deswegen fühl ich mich irgendwie verstanden von der Autorin.

    Ich hoffe, dass alle die können und das Herz haben, weiterhin das für andere Lebewesen tun und geben was sie können und sich zutrauen. Bitte denkt auch an euch, so wie die Autorin. Ich glaube es ist besser wenigen Tieren richtig zu helfen als vielen nur knapp, auch wenn das hart klingt. Ich weiß nicht wie ich es anders ausdrücken soll.

    nun ja, ich wollte mich mal melden, nachdem ich deinen Blog/YTChannel/etc. nun schon relativ lange heimlich verfolge. 🙂

    liebste Grüße
    koyki

  6. Traurig, aber sie hat schon recht. Ihre Erzählungen erinnern mich irgendwie an den Fall, in dem eine Frau ihren Hund hat einschläfern lassen, weil sie nen neuen Job hatte und nun keine Zeit mehr für ihn erübrigen wollte/konnte.

  7. traurig das ich zustimmen muss aber die worte sind so wahr kenne ich selber aus einem anderen tierschutzbereich 🙁
    danke erbse für den link

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