Eiszapfen

Kleine Erbse

Kürzlich lag ich die Nacht wach. Ich weiss nicht wie lange ich da lag. Die Zeit stand wohl für einige Stunden still. Starrend in das Dunkel. Die angsteinflößenden Schatten die in den Zimmerecken kauerten. Es ist nicht selten, dass ich nachts in Panik verfalle, wenn ich nicht binnen Minuten eingeschlafen bin. Aber diesmal griff keine schwarze Gestalt nach mir. Nichts lechzte nach meinem Leben. Und kein Dämon lauerte, nur den richtigen Moment abpassend um mich Todesängste ausstehen zu lassen. Nein. Da war nur ich. Nur ich und eine wage Erinnerung. Eine Szene… eine Sequenz von früher, die mich so sehr mit Licht erfüllte, dass mir wohlig warm wurde.

Ich erinnere mich, als ob es gestern gewesen wäre. Sehr jung muss ich gewesen sein. Vielleicht vier, höchstens fünf Jahre. Ich war den ganzen Vormittag im Kindergarten. Niemand stand um die Mittagszeit an der Pforte um mich abzuholen. Ich zog alleine meine Stiefelchen an, stülpte mir die warme Kapuze über den Kopf und tappste mit der lilanen Kindergartentasche, in der immer das von Mama gemachte Frühstück wartete, hinaus. Ein kalter Wind zog mir um die Nase. Es ist Winter. Ein schöner Winter, fand ich. Sorglos ging ich alleine den Weg durch unser Dorf um nach Hause zu kommen. Ich wusste, daheim wartet Mittagessen auf mich. Die warme Heizung. Und Mama! Aber als ich das Weiß auf den Feldern sah, konnte ich nicht anders, und musste mit meinen Füßen den Schnee zu Haufen schieben um dann letztlich mit meinen Händen kleine Bälle zu formen, die ich einfach so in der Hand hielt bis sie vollständig geschmolzen waren. Ich mochte das Gefühl sehr. Niemals hätte ich daran gedacht, den Schneeball zu werfen. Es war mein Schneeball. Als ich weiterging, kam ich an einem Schweinestall vorbei. Selbst im Winter stank es bestialisch aus dem Gebäude, fand ich. An den Fensterbrettern funkelten mich die vielen Eiszapfen an. Sie hatten alle verschiedene Längen. Winzig kleine, aber auch bereits sehr lange und dicke fand ich vor. Es war nicht so, als ob ich noch nie Eiszapfen gesehen hatte. Aber es waren meine Eiszapfen. Es war mein Weg den ich einsam entlang ging. Es war mein Winter. Mit größter Vorsicht brach ich den besten Eiszapfen ab. In meinen winzigen Händen haltend, den Zapfen immer wieder beäugend, trat ich den Weg nach Hause an. Ab und zu hielt ich ihn in den Himmel um ihn funkeln sehen zu können. Ich liebte diesen Zapfen. Meine kleinen bereits sehr kalten Händchen behüteten ihn wie einen Schatz. Es war mein Schatz.

Als ich vor unserem Haus stand, ging ich nicht hinein. Ich hatte kein Interesse an der warmen Heizung. Das Mittagessen war mir egal. Und meine Mutter würde schon Verständnis haben. Ich erinnere mich wie ich mich in unseren Garten setzte und den Eiszapfen wie ein Schwert in einen Schneeberg rammte. Das war mein Eiszapfen. Ich war so stolz. Nichts hätte besser sein können als dieser Augenblick voller Kälte in dem ich kein bisschen fror.

Kommentare 5

  1. Deine Art die Dinge in ihrer Art und Weise zu beschreiben ist sehr schön. Jeder von uns hatte mal einen solchen Moment. Als Kind sah man die Welt noch mit anderen Augen. Ich versuch mir diesen Blick zu behalten und erzähle meine Geschichte in Form von Bildern. Wer findet den schon Wäscheklammern an einer Leine schön, ich? Genauso wie du und dein Schneeball. Das hätte ein wunderschönes Bild gegeben……..

  2. Sagt aber viel, dass du ausgerechnet in der Situation, in der du sonst (wieder) soviel Angst gehabt hättest, eine solche Erinnerung bekommst.
    Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen, der hoffentlich für Besserung steht.
    Ich interpretiere diese Erinnerung in der Art, dass DU nun bei DIR bist, DU bist für DICH da!
    Allet Jute, meine Liebe!

  3. *hihi* Das weckt direkt die vielen Nachmittage im Winter im Garten meiner Großeltern. Immer war ich anfangs mies drauf, weil ich raus sollte „an die frische Luft“ und nach spätestens einer halben Stunde wollte ich gar nicht mehr ins Haus… Ab und zu stand ich auch einfach nur mitten im Garten und erstaunte mich an dem „Ganzen“…. Im Grunde unbeschreiblich…

  4. Meine Eltern hätte mich damals nie alleine vom Kindergarten laufen lassen ^^ Dafür hatten sie glaube ich viel zu viel Angst, obwohl der Weg gar nicht so weit war… Schön geschrieben, das Foto ist niedlich 🙂

  5. wundervoll und tiefgründig vorallem der letzte satz.behalte dir diese erinnerung erbse,hoffentlich wird sie dich noch oft vor kälte(und dunkelheit)schützen.

Kommentare sind geschlossen.